Zwischen zwei Lesungen ...
... interviewten mich Schüler:innen der Ritter-Wirnt-Realschule in Gräfenberg
Interview mit Nasrin Siege über unser Sozialprojekt „Let me be a child“ (Lmbac)
Das Interview führten J.-L., C., J., J. und L. am 03.05.2022.
Was fasziniert Sie an Afrika?
Nasrin Siege: Afrika ist ein bunter Kontinent! Jedes afrikanische Land ist anders und in jedem Land gibt es unterschiedliche Volksgruppen. Mich fasziniert viel in Afrika … Die Menschen, die Tierwelt, die Kunst, das Essen, die einfach völlig andere Welt! Ich habe ca. 30 Jahre in verschiedenen afrikanischen Ländern gelebt. Ich habe da gerne gelebt, habe mich wohlgefühlt und mit der Zeit habe ich mich immer in dem jeweiligen Land heimisch gefühlt.
Wie hat Ihre Hilfsaktion in „Let me be a child“ während Corona funktioniert?
Nasrin Siege: Durch Corona war vor allem die Kommunikation zwischen den Projekten und uns von Hilfe für Afrika e.V. erschwert. Per Telefon erfuhren wir von den Problemen der Projekte und halfen Lmbac, und auch unseren anderen Projekten, mit einer Corona-Nothilfe. Die Menschen in den Projekten haben eine harte Zeit gehabt. Sie haben schichtweise im Homeoffice gearbeitet. Da sie aber in engen Verhältnissen wohnen, kein Internet, Telefon und oftmals keine Computer besitzen, litt die Projektarbeit darunter. Zum Beispiel konnten Berichte und Anträge nicht rechtzeitig geschrieben und an die Spender-Organisationen geschickt werden.
Und wer hat sich dann um die Kinder in dem Tagesheim gekümmert?
Nasrin Siege: In Äthiopien waren während Corona die Schulen geschlossen, aber auch das Projekthaus, in dem die Kinder täglich gegessen haben, Schularbeiten gemacht haben, Spaß gehabt haben. Plötzlich ging das nicht mehr! Sie mussten den ganzen Tag, zusammen mit der Familie, in einem kleinen Haus, das in der Regel aus einem oder zwei Räumen besteht, verbringen. Das war hart für alle! Lmbac hat in dieser Situation mit Lebensmitteln geholfen. Die Kinder kamen regelmäßig zum Projekt und bekamen Lebensmittelpakete für die ganze Familie mit. Wir von Hilfe für Afrika haben diese Maßnahme mit der Corona-Nothilfe finanziert. Und wenn ein Kind Beratung brauchte, dann konnten die Kinder, unter Corona-Bedingungen, Beratung bekommen.
Das ist schön!
Nasrin Siege: Ja, das finde ich auch. Dann gab es eine Aktion, da haben die Kinder Bilder und Texte zum Thema Corona angefertigt. Mit ihnen drücken sie aus, dass sie ihre Freunde und Freundinnen vermisst haben, dass sie es vermisst haben, in die Schule zu gehen. Ihr müsst bedenken, dass sie oft in ganz engen Verhältnissen wohnen. Das war schon eine harte Zeit für die Kinder und Jugendlichen.
Jetzt können sie wieder zur Schule gehen und am Nachmittag in das Projekt. Sie sind wieder glücklich, sie können wieder ihre Freunde treffen, sie können wieder draußen spielen. Ich bin im März dieses Jahres in Äthiopien gewesen, habe die Kinder besucht und gesehen, wie froh sie sind. Ich habe viele neue Gesichter gesehen, denn wegen Corona konnte ich das Projekt lange nicht besuchen. Neue Kinder sind in dieser Zeit dazugekommen. Andere haben inzwischen die Schule beendet, haben das Projekt verlassen, arbeiten oder studieren.
Was hat sich in der letzten Zeit im Projekt verändert?
Nasrin Siege: Das Haus in Addis wurde umgebaut. Es gibt jetzt einen Computer-Raum, eine Bibliothek mit Arbeitsplätzen und Büchern. Die Kinder genießen diese Räume, denn solche haben sie ja zu Hause nicht. Als ich jetzt dort war, hatte ich ihnen Bücher mitgebracht. Das eine Buch ist von Heinrich Böll: Die Geschichte „Der kluge Fischer“ auf Amharisch.
Mit unserem Verein arbeite ich seit längerem mit dem deutsch-äthiopischen Verein „Art of Buna e.V.“ zusammen, der Kinder- und Jugendbücher in die Landessprache Amharisch übersetzt, druckt und in Projekten in Äthiopien kostenlos verteilt.
Dieser Verein hatte mir 20 Exemplare von dem Buch „Der kluge Fischer“ auf Amharisch für unsere Projekte in Äthiopien mitgegeben.
Hier in der Bibliothek findet man auch mein Buch „Asni“ in Amharisch.
In dem Projekt gibt es auch eine Bibliothek?!
Nasrin Siege: Genau! Als ich dort war, war die Bibliothek gut besucht. Die Kinder lesen hier, machen hier ihre Schulaufgaben, bekommen hier Nachhilfe. Sie sind sehr fleißig. Sie wissen ja, wenn sie einen guten Schulabschluss haben, haben sie eine bessere Chance für ihr Leben und auch für ihre Familien. Diese Chance gibt ihnen „Let me be a child“.
Was denken Sie über die unterschiedlichen Länder und Kulturen in Afrika?
Nasrin Siege: Jedes Land ist anders. Auch in Europa gibt es viele Länder und jedes Land hat andere Sitten und Traditionen, vieles ist ähnlich, aber es gibt auch in jedem Land eigene Sitten, Gebräuche, Traditionen, Sprachen. Das ist sehr interessant und es gibt eine Wissenschaft, die Ethnologie, die sich mit den kulturellen Eigenheiten und Unterschieden verschiedener Völker beschäftigt. Ich bin zwar keine Ethnologin, aber ich interessiere mich seit dem ersten Mal, als ich nach Afrika kam, für die Kultur des jeweiligen Landes … was die Menschen denken, was sie beschäftigt, was sie für Geschichten haben, welche Religionen sie haben … manche Volksgruppen haben Naturreligionen. Das finde ich bis heute spannend und jedes Land, in dem ich gelebt habe, war auch in diesem Sinne eine große Bereicherung für mich!
Kultur ist nicht etwas Statisches, bleibt nicht „stehen“, sondern „bewegt“ sich, nimmt neue Elemente auf, vor allem aus den Begegnungen mit Menschen, die eine andere Kultur haben. So auch in Afrika und so auch in Europa und bei uns in Deutschland. Beim Thema Essen kann man das gut nachvollziehen. Ein gutes Beispiel ist der Döner, der vor 30 Jahren in Deutschland unbekannt war, von türkischen Migranten in Deutschland eingeführt wurde und das viele von eurer Generation heute als „deutsches“ Gericht ansehen, obwohl es eigentlich ein Gericht aus der Türkei ist.
Meine Großeltern hatten einen Bauernhof und sie erzählen, dass sie früh das Wasser zum Baden extra heiß machen mussten, das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen.
Nasrin Siege: In meinem Buch „Sombo, das Mädchen vom Fluss“ wird etwas Ähnliches beschrieben: Sombo verlässt ihr Dorf und besucht die Oberschule in der Stadt. Hier lernt sie das erste Mal eine Dusche und das Licht aus der Glühbirne kennen! Als sie später in ihrem Dorf von dem Wasser, das aus der Decke kommt, und von dem Licht, das ohne Feueranzünder angeht, erzählt, will ihr das niemand glauben!
In ärmeren Ländern, da geht es ja oft den Kindern, richtig schlecht, mussten Sie da schon mal weinen?
Nasrin Siege: Es gab viele traurige Situationen. Vieles hat mich berührt und auch manchmal wehgetan. Gerade zu Beginn, als ich die vielen Straßenkinder auf der Straße gesehen habe. Irgendwann aber und relativ früh, war der Moment da, in dem ich wusste, dass ich etwas tun muss, um die Situation der Kinder zu verändern. In dieser Zeit habe ich, zusammen mit Freunden in Deutschland, den Verein Hilfe für Afrika gegründet. Und seitdem freue ich mich, dass ich, durch die Unterstützung von Bildungsprojekten, vielen Kindern helfen kann. … Helfen durch Teilen macht Freude! Diese Erfahrung habt ihr inzwischen bestimmt auch gemacht.
Ich habe noch eine Frage zum Projekt, es gibt da ja auch Kindern, die keine Eltern mehr haben. Gibt es für die auch Schlafplätze?
Nasrin Siege: Einige Kindern von „Let me be a child“ wohnen in Restfamilien, z.B. bei ihren Onkeln oder Tanten. Für die, die niemanden mehr haben, sucht das Projekt Familien, die sagen, ja, das Kind kann bei mir schlafen und wohnen. In solchen Fällen bekommt die Familie Hilfe vom Projekt. Wenn z.B. ein Dach kaputt ist, dann bekommen sie Hilfe bei der Reparatur. Das Projekt unterstützt dort, wo die Familie sagt, hier brauchen wir Hilfe. Manchmal ist das was ganz Praktisches, z.B. eine Matratze. Aber Let me be a child entlastet alle Familien auch mit dem Essen für die Kinder: Die Kinder bekommen am Abend schon ihr Frühstück für den nächsten Tag. Mittags kommen sie aus der Schule in das Projekt, bekommen ein Mittagessen und nach der Schule können sie in Ruhe Hausaufgaben machen. Oft haben sie auch Nachhilfe und sie gehen dann nach dem Abendessen, mit dem Frühstücksbrot für den nächsten Tag, zu den Orten, in denen sie schlafen.
Sind das dann mehrere Gebäude, in unterschiedlichen Stadtteilen?
Nasrin Siege: Die Kinder schlafen in verschiedenen Häusern. Die meisten befinden sich im selben Stadtteil, in dem sich das Projekt und die Schule, die sie besuchen, befinden. Das Projekt selbst arbeitet in einem großen Gebäude, der sogenannten „Insel“. Das Gebäude ist mit Spendengeldern gebaut worden. Neben den Räumen für die Aktivitäten vom Projekt sind hier auch Gästezimmer eingebaut worden. Für Gäste, die das Projekt kennen lernen wollen und für andere Besucher. Das Geld für die Miete der Gästezimmer geht direkt in das Projekt.
„Let me be a child“ ist ein überzeugendes Projekt, das vielen armen Kindern hilft, und ich freue mich, dass wir es mit den Spenden aus Hilfe für Afrika e.V. unterstützen können.
Danke an euch alle von der Ritter-Wirnt-Schule für euer Engagement und eure wunderbare Unterstützung von „Let me be a child“.
Herzlichen Dank für das Interview.