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Kinderliteratur im Gespräch mit Nasrin Siege

Interviews

Das Gespräch mit Nasrin Siege führten Prof. Bernhard Rank und Tatjjana Jesch

Lesezeichen. Mitteilungen des Lesezentrums der Pädagogischen Hochschule Heidel-berg. Heft 8/2000, S. 9-35 Kinderliteratur im Gespräch Auszüge aus dem Gespräch mit Nasrin Siege (20. Oktober 1999)

Ein Auszug aus: Lesezeichen. Mitteilungen des Lesezentrums der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Heft 8/2000, S. 9-35 Kinderliteratur im Gespräch Auszüge aus dem Gespräch mit Nasrin Siege (20. Oktober 1999)

Die Veranstaltungsreihe „Kinderliteratur im Gespräch“ wird vom Lesezentrum der Pädagogi-schen Hochschule Heidelberg mit finanzieller Unterstützung der Stiftung für Bildung und Be-hindertenförderung e.V. (Stuttgart) geplant und durchgeführt. Sie wurde ins Leben gerufen mit der Intention, einen nicht rein akademischen Zugang zu Fragen der Theorie und Geschichte der Kinder- und Jugendliteratur zu finden, nämlich durch das Gespräch mit bekannten und wichtigen Autorinnen und Autoren und die unmittelbare Begegnung mit ihrenTexten. Zur mittlerweile achten Veranstaltung in dieser Reihe war Nasrin Siege eingeladen. Die deutsch-iranische Kinderbuchautorin schreibt über Kinder in Afrika und über das Fremdsein in Deutschland. Als Neunjährige ist sie Ende der 50er Jahre mit ihrer Familie aus dem Iran nach Deutschland gekommen, heute lebt sie mit ihrem Mann und ihren Kindern in Tansania. Doch nicht nur ihre Erfahrungen als Grenzgängerin zwischen den Kulturen und Sprachen verarbeitet sie in ihren Kinderbüchern, sie setzt sich auch mit der Schranke zwischen Arm und Reich auseinander: Ihr Engagement für die Straßenkinder in Dar es Salaam bestimmt ihr gegenwärtiges Leben und Schreiben. Für die Lesung wählte sie daher Auszüge aus ihrem jüngsten Roman „Juma. Ein Straßenkind aus Tansania“. Das Gespräch mit Nasrin Siege führten Bernhard Rank und Tatjana Jesch.

1. Anfänge des Schreibens und biografischer Hintergrund

Wir möchten zunächst gerne wissen, wann Sie Ihre ersten Texte geschrieben haben und wie es dazu kam, dass Sie diese Texte dann auch veröffentlichten?

Die ersten Texte habe ich als Schülerin geschrieben. Einmal habe ich ein Märchen geschrieben und meine Zuhörer waren meine Geschwister und die Klassenkameraden meiner Schwester. Später, als ich ein bisschen älter war, aber noch Schülerin, da habe ich Texte weggeschickt und die ersten Texte erschienen dann tatsächlich – da war ich selber sehr erstaunt – im Flensburger Tageblatt. Das waren Gedichte. Ich blieb lange Zeit bei Märchen und Gedichten. Ich habe also lange Zeit immer nur kurze Sachen geschrieben. Die Idee, meine Texte an einen Verlag zu schicken, kam auf, als ich das erste Mal – als erwachsene Frau – nach Tansania ging. Ich schickte einige Texte an Hans-Joachim Gelberg vom Verlag Beltz u. Gelberg und er antwortete mir. Er fand gut, was ich geschrieben hatte und machte mir Mut weiterzumachen. Später veröffentlichte er in einem seiner Jahrbücher die ersten kleinen Gedichte von mir, schickte mir zur Anregung Bücher nach Tansania und meinte, ich solle doch versuchen auch mal ein Buch zu schreiben. Ich habe mir das damals gar nicht richtig vorstellen können, dass ich tatsächlich etwas Längeres schreiben könnte. Doch während unseres zweiten Afrika-Aufenthalts – diesmal in Sambia –, durch den Kontakt mit den Freundinnen meiner Tochter Lena, entstand dann das erste Kinderbuch mit dem Titel: „Sombo, das Mädchen vom Fluss“. Diese Geschichte entstand im Grunde aus sich selbst heraus. Ich wollte das Leben eines Mädchens aus einem Dorf in der Nähe des Kabompo-Flusses – an dem auch ich mit meiner Familie lebte– beschreiben. Immer, wenn ich ein Kapitel fertig geschrieben hatte, übersetzte ich es und las es Lenas Freundinnen vor und sie gaben mir ihre Kommentare, Meinungen und Ideen. Durch diesen engen Kontakt mit den sambischen Mädchen entstand ein Kapitel nach dem anderen und wider mein Erwarten hatte ich ein Kinderbuch geschrieben. Und seitdem bin ich eigentlich dabei geblieben und habe weitere Bücher geschrieben.

Warum der Beginn mit Märchen?

Warum der Beginn mit Märchen! Ich habe etwa mit 12 Jahren begonnen Märchen zu schreiben, vielleicht einfach, weil die ersten Geschichten, die ich als kleines Kind gehört habe, Märchen waren. Später in Deutschland habe ich dann auch Märchen gelesen, ich habe aber auch Kinderbücher gelesen.

„Das rote U“?

Ja, das „rote U“. Ja, und „Trotzkopf“ und diese ganzen Schneider-Mädchenbücher. Das warauch deshalb sehr wichtig für mich, weil ich durch diese Bücher sehr viel von der deutschen Familienwelt erfahren habe, die mir ja damals noch sehr fremd war.

Aus „Trotzkopf“ ist darüber aber nicht viel zu erfahren.

Vielleicht nicht, aber trotzdem lernte ich auch hier eine andere Welt kennen und diese andere Welt interessierte mich. Die Märchen wiederum waren mir im Grunde sehr vertraut. Vielleicht ist das der Grund gewesen, warum ich mit dem Schreiben von Märchen angefangen habe.

Sie haben erwähnt, dass Sie Märchen in der Kindheit kennen gelernt haben, es waren aber nicht die deutschen Märchen. Wenn Sie uns den biografischen Hintergrund dazu erzählen könnten: In welchem Land sind Sie auf-gewachsen, wann kamen Sie nach Deutschland und wie kam es dann dazu, dass Sie seit 1983 mit ganz wenigen Unterbrechungen in Afrika leben?

Ich habe bis zu meinem neunten Lebensjahr im Iran gelebt, ich bin gebürtige Iranerin. Meine Eltern zogen 1959 mit uns Kindern – drei Mädchen und einem Jungen von einem Jahr – nach Deutschland, und zwar nach Hamburg. Ich bin in Hamburg und Flensburg zur Schule gegangen und habe in Kiel Psychologie studiert. Als ich fünfzehn Jahre alt war, zogen meine Eltern mit uns nach Flensburg um. Ich habe meinen Mann in Flensburg kennen gelernt und wir haben beide den Traum gehabt ins Ausland zu gehen. Nun war Deutschland ja für mich im Grunde auch Ausland. Da ich aber in Deutschland groß geworden war, vergaß ich das manchmal, denn Deutschland war für mich auch ein wenig Heimat geworden. Und trotzdem fühlte ich und wurde immer wieder daran erinnert, dass Deutschland nicht meine Heimat war. Und deshalb wollte ich woanders hin. Vielleicht um Abstand zu gewinnen zu Deutschland und zum Iran und auch um etwas ganz Neues kennen zu lernen. ...


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