"Schlaflos" gehört zu einer Reihe von Gedichten, die ich seit dem Beginn der revolutionären Proteste im Iran im September 2022, ausgelöst von der Ermordung von Mahsa Jina Amini durch die sogenannten Sittenwächter der Islamischen Republik Iran, geschrieben habe.
Die deutschen Originalfassungen von den Gedichten "Schlaflos" und "Haare" sind in der Anthologie von PEN"Damals wie Heute" und im Rahmen von "Haare im Wind", eines Projekts der Lyrikerin Antje Stehn, "gewidmet dem Mut der iranischen Frauen und ihrem dramatischen Kampf ... ", erschienen.
Schlaflos
Jede Nacht wache ich
auf im sicheren Bett
in Deutschland
jede Nacht
liege ich wach
vor mir das Fenster
zu den
Gassen und Häusern
im Ohr
der Ruf
Azadi!
Azadi!
Freiheit!
von Dächern
der Stadt
die Stimmen
meiner Mütter, Töchter, Schwestern
meiner Väter, Söhne, Brüder
meiner Menschen
im Iran
Mein Lyrikband "Mandeln und Rosinen" wird, illustriert von der wunderbaren Maryam Andaz , voraussichtlich im Juli 2022 im VADA-Verlag Berlin erscheinen.
Hier eine kleine "Kostprobe" in Wort und Bild ...
Bist du
Möwen segeln
mit dem Wind
Sieh!
flüstert er
Das Meer
hat deine Farben
bist du
Aus: Hans-Joachim Gelberg (Hrsg.): Wo kommen die Worte her?, Beltz & Gelberg, 2011
Aus: Ursula Remmers und Ursula Warmbold (Hrsg.): Meine Feste, deine Feste, kleine Feste. Reclam, 2013
Der Heimatlose ist ein Reisender,
der in fremden Hotels aus dem Koffer lebt,
an neuen Stränden nach Muscheln sucht,
und in den Gesichtern das Vertraute,
das Lächeln und etwas Liebe.
Aus: Mir fremd, doch nah. Vom Miteinander in Hessen. Ein Lesebuch. Hrs. von Hans Eichel, Frankfurt/M., Insel 1993
Und aus: Literatur des 20. Jahrhunderts, Peter Bekes und Volker Frederking, Schroedel Verlag, 2000
Anaeli hat kein Zuhause
Anaeli hat kein Bett
Anaeli ist allein
Anaeli ist klein
Anaeli hat Hunger
Anaeli friert
Anaeli hat Angst
Anaeli hat Wunden
Anaeli hat Schmerzen
Wer passt auf Anaeli auf?
Wergibt Anaeli zu essen?
Wer bringt Anaeli zum Arzt?
Wer tröstet Anaeli?
Wer schickt Anaeli in die Schule?
Wer nimmt Anaeli in den Arm?
Die Leute sagen:
Straßenkinder sind schmutzig
sind kleine Diebe
sie stinken und sind faul
sie sind Abfall
zu nichts zu zu gebrauchen
du kannst mit ihnen machen was du willst!
kein Hahn kräht nach ihnen.
Anaeli ist allein!
Aus: Hans-Joachim Gelberg (Hrsg.): Großer Ozean. Gedichte für alle. Beltz & Gelberg, 2000